Der Angsthund aus dem Auslandstierschutz – ein Klassiker?

Der unsichere Hund aus dem Shelter: Vertrauen und Sicherheit vermitteln

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4Pfoten-Urlaub ängstliche Hunde aus dem Tierschutz

Vorweg: Dieser Text wurde NICHT von einem Hundetrainer verfasst! Es handelt sich auch NICHT um eine „Gebrauchsanweisung für ängstliche Hunde aus dem Auslandstierschutz“.

Er stammt von einer Hundehalterin, die im Sommer 2020 einen 3-jährigen Mischlingsrüden namens Oscar aus einem rumänischen Shelter adoptiert hat und hier ihre Erfahrungen mit uns teilt.

Der Angsthund aus dem Auslandstierschutz – ein Klassiker?

„Wo hast du ihn denn her?“ – „Aus einem Shelter in Rumänien.“ – „Ach, soooo einer ist das!“

Was auch immer der Gesprächspartner mit „so einer“ meinte – DEN typischen Hund aus dem Auslandstierschutz gibt es nicht. Kein Hund ist genauso wie ein anderer, jeder dieser Vierbeiner hat seine eigene Geschichte, die ihn geprägt hat. Egal, woher er kommt.

Ein Großteil der Hunde aus dem Ausland verhält sich zwar häufig ängstlich. Doch hier sollte genau unterschieden werden zwischen Angst, Furcht und Unsicherheit:

– Bei der Angst handelt es sich um ein dauerhaftes Gefühl einer eher diffusen Bedrohung. Ein klassisches Beispiel: Jemand ist allein zu Hause und hört ein Geräusch, das er nicht einordnen kann. Es macht sich Anspannung und Beklemmung breit, die Art der Bedrohung bleibt aber vage.

Ein Hund in akuter Angst ist weitgehend handlungsunfähig. Er kann auf nichts reagieren, schon gar nicht auf die Kommunikation seines Menschen. Bei Oscar zeigte sich diese Angst beim ersten Spaziergang. Er trug zum ersten Mal in seinem Leben ein Sicherheitsgeschirr. Die Umgebung war ihm völlig neu. Von überall her nahm er unbekannte Geräusche und Gerüche wahr. Er erwartete das Schlimmste – aus welcher Richtung und in welcher Form auch immer – und blieb wie eingefroren stehen. Er war absolut handlungsunfähig.

Furcht ist eine starke emotionale Reaktion auf eine tatsächliche (wenn auch vielleicht nur scheinbare) Bedrohung. Ein typisches Beispiel ist der Anblick einer Schlange in freier Natur oder die Wahrnehmung, dass man nachts in einer verlassenen Gegend von einer fremden Person verfolgt wird.

Oscar fürchtete sich sehr, als er zum ersten Mal dem riesigen und sehr lauten Fahrzeug der örtlichen Abfallentsorgungsfirma begegnete. Ein Kampf gegen dieses Ungetüm kam für ihn nicht in Frage, also griff „Plan B“: Davonrennen – so schnell wie nur irgendwie möglich. Frauchen hatte ihn sorgfältig gesichert und holte ihn aus der vermeintlichen Gefahrenzone heraus, indem sie mit ihm in eine Nebenstraße auswich.

Aus einer konkreten Furcht kann sich schlimmstenfalls eine Phobie entwickeln, aus der unbestimmten Angst eine Panik.

Unsicherheit hat mit Angst und Furcht zunächst wenig zu tun. Unsicherheit zeigt sich beispielsweise in neuen, unbekannten Situationen, die nicht sofort oder nur schwer einzuschätzen sind. Hunde können sich in solchen Situationen zögerlich, zurückhaltend und vorsichtig zeigen. Es gibt durchaus vierbeinige Draufgänger, die sich genau entgegengesetzt verhalten und direkt wissen wollen, was denn da los ist. Daher wird eine solche Unsicherheit als Persönlichkeitsmerkmal eingestuft.

Allerdings kann aus Unsicherheit durchaus Angst entstehen, und zwar dann, wenn der Vierbeiner (und auch der Mensch) in solchen Situationen negative, unangenehme Erfahrungen macht. Ein Hund zeigt seine Unsicherheit durch Körpersprache und Verhalten, er ist aber in gewissem Maß noch handlungsfähig und in der Lage, das aus seiner Sicht Richtige zu tun. Sind die Konsequenzen dieses Verhaltens negativ, kann die Unsicherheit in eine – unbestimmte – Angst umschlagen.

Der Tierschutzhund im neuen Zuhause

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4Pfoten-Urlaub ängstlicher Hund aus dem Auslandstierschutz

Es sind nicht wenige Hunde aus dem Auslandstierschutz, die als so genannte Angsthunde deklariert werden. Bei genauerem Hinsehen entpuppen die meisten sich aber als „nur“ sehr unsicher. Und wen wundert‘s? Neue Menschen, neue Sprache, neue Gerüche, neues Dies, neues Das… Hinzu kommt: Viele Vierbeiner haben die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, die Menschen zu meiden. Ihre Verunsicherung beim Kontakt mit Menschen zeigt sich im Ducken, Weglaufen und dem Ausweichen von Berührungen und Blickkontakten. Sie hatten bisher kein eigenes Zuhause mit Wänden und Treppen. Manche kennen nicht einmal einen Wasser- oder Futternapf. Und Menschen, die sie ständig vollquatschen, angucken, anfassen wollen und anleinen, um mit ihnen in einer völlig unbekannten Welt spazierenzugehen, sind schlichtweg angsteinflößend.

Oscar wurde als Welpe mit seinen Geschwistern in Rumänien ausgesetzt und war zum Glück bald gefunden worden. Drei Jahre lang lebte er unter geschützten Bedingungen in einem Shelter. Dieser Schutz hatte eine Schattenseite: Er machte NULL Erfahrungen! Er kannte nur den Shelter, die Tierschützer, die dort arbeiten, und die anderen Hunde, die dauerhaft dort untergekommen waren. Sein neues Frauchen – nennen wir sie Marie – wollte genau ihn adoptieren und keinen anderen – und für Oscar stellte sich die Welt auf den Kopf.

Nach mehr als 30 Stunden Fahrt kam er in seinem neuen Zuhause an. Eine Mitarbeiterin des Tierschutzvereins hatte ihn vom Treffpunkt abgeholt und mitsamt seinem Kennel bis in den Flur des Hauses gebracht, wo er von nun an leben würde. Wie konnte man ihm diese gewaltige Umstellung seines Lebensumfelds erleichtern?

Der Kennel wurde im Flur geöffnet. Während die Mitarbeiterin des Tierschutzvereins, Marie und ihr Ehemann die Formalitäten im Nebenzimmer am Esstisch erledigten, traute der Vierbeiner sich langsam heraus und ging vorsichtig auf Erkundungstour. Er fand zunächst den Wassernapf in der Küche und dann die große Transportbox, die Marie extra für ihn angeschafft hatte und sofort seine Zustimmung fand. Während der Hund die ideale Liegeposition in der angenehm dunklen Höhle suchte, schloss die Mitarbeiterin vom Tierschutz leise die Tür des Kennels und kappte damit eine weitere Verbindung zwischen Oscar und dem Shelter-Leben.

Angst, Furcht oder Unsicherheit? Die Grenzen sind fließend!

Marie und ihr Mann ließen ihrem neuen Familienmitglied viel Zeit zum Eingewöhnen. Aus Stunden wurden Tage, dann Wochen, dann Monate. Anfangs waren Blickkontakte mit Oscar kaum möglich, geschweige denn Berührungen. Seine „Geschäfte“ erledigte der scheue Hund im Flur auf alten Handtüchern. Erst nach rund zehn Tagen konnte Marie ihn zum ersten Mal anleinen und ihm das Sicherheitsgeschirr anziehen. Weil er stocksteif stehen blieb, trug sie ihn in den Garten, wo er sich ebenfalls nicht rührte. Die Angst vor dem Unbekannten lähmte ihn völlig. Ein erster kurzer Spaziergang an der ruhigen Wohnstraße folgte noch einmal eine Woche später.

„Er hatte einen totalen Tunnelblick, nahm nichts wahr“, berichtet Marie. „Als wir nach nach ein paar Metern umdrehten und wieder ins Haus gingen, verkroch er sich für den Rest des Tages in seiner Box. Er war nervlich völlig am Ende.“

Einem unsicheren Hund Geborgenheit vermitteln – hilfreiche Tipps

4Pfoten-Urlaub Hund hat Angst
4Pfoten-Urlaub Angsthund

Nicht jede hier genannte „Maßnahme“ eignet sich für jeden unsicheren Hund. Jeder dieser Vierbeiner ist ein Unikat, und die Reaktionen sind so unterschiedlich wie die Tiere und ihre Persönlichkeit selbst. Bei Oscar hatte Marie Erfolg, indem sie

  • ihn immer wieder mal ansprach – mit leiser, ruhiger Stimme,
  • ihn nicht direkt ansah, sondern den Blick immer an ihn vorbei richtete,
  • in ihrem Verhalten so gut wie möglich berechenbar blieb,
  • feste Zeiten fürs Füttern einrichtete und
  • nichts von ihm verlangte, das er aufgrund seiner Unsicherheit nicht geben konnte.

Wichtig: Angst und Unsicherheit sollten nicht als unerwünschtes Fehlverhalten interpretiert werden. Der unsichere oder ängstliche Hund benötigt Unterstützung und Sicherheit und kein pauschales Ignorieren. Viele Hundetrainer und Hundehalter vertreten immer noch die Ansicht, dass man die Angst verstärkt, indem man auf sie eingeht. Diese Ansicht ist so allgemein aber nicht haltbar. In einem akuten Angstanfall ist der Hund nicht oder nur bedingt ansprechbar, der angepeilte situative Lerneffekt wird daher gar nicht oder nur stark eingeschränkt eintreten.

Besser ist es, für den Hund da zu sein und ihm zu zeigen, dass er die beängstigende Situation gemeinsam mit seinem Menschen bewältigen kann. Schon beim Blickkontakt und erst recht bei Berührungen wird das „Bindungshormon“ Oxytocin ausgeschüttet, das den Stresshormonen direkt entgegenwirkt. Außerdem erfährt der Vierbeiner ein Erfolgserlebnis, das sein Selbstbewusstsein stärkt.

Zwischenbilanz nach einem Dreivierteljahr

Oscar ist nun seit knapp neun Monaten bei seiner Familie in Deutschland; im März 2021 wird er vier Jahre alt. Seine grundlegende Unsicherheit wird er vermutlich nie ganz ablegen. Eine Zeitlang befand er sich auf einer Art Plateau, er entwickelte sich nicht weiter, und es gab auch hier und da Rückschritte. Aber insgesamt hat er sich sehr zum Positiven verändert.

„Er weiß inzwischen, dass er sich auf mich verlassen kann“, sagt Marie. „Er weiß, dass wir morgens gleich als erstes hinausgehen, damit er seine Geschäfte erledigen kann, und hält bis dahin durch. Er weiß, dass er direkt im Anschluss sein Frühstück bekommt. Er weiß, dass er immer ein positives Feedback erhält, wenn er von sich aus Kontakt aufnimmt. Er meldet sich, wenn er sich tagsüber außer der Reihe lösen muss. Er freut sich wie irre, wenn ich sein Geschirr und seine Leine hervorhole. Vieler Dinge kann er sich schlicht sicher sein, und das vermittelt ihm Stabilität – auch in seinem Verhalten. Er wird offener, kontaktfreudiger, spielerischer. Als er vor einigen Tagen zum ersten Mal ein Kissen vom Sofa ‚klaute‘ und in seine Box schleppte, hätte ich einen Freudentanz aufführen können.“

Er ist (noch) nicht der Typ, der gemeinsam mit anderen Hunden über die Wiesen tobt. Aber er hat bereits gezeigt, wie gut er Löcher buddeln kann. Ein Schritt nach dem anderen – er hat alle Zeit der Welt!

Hund und Silvesterabende sind eine Kontroverse für sich. Hundebesitzer sind sich jedoch einig zu dem Thema. Auch wir haben uns Gedanken dazu gemacht und diesen Blogarktiel für Sie verfasst: Silvester ohne Angst – die besten Orte, um mit Hunden Silvester zu verbringen

Wir hoffen, euch hat unser Blogartikel gefallen! Bei Ideen, Anregungen oder Korrekturwünschen bitten wir um einen Kommentar 🙂

Euer 4Pfoten-Urlaub-Team

2 Kommentare zu „Der Angsthund aus dem Auslandstierschutz – ein Klassiker?“

  1. Vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag. Er hat mir wieder Hoffnung gegeben. Ich wollte schon klein beigeben, als mir unsere Ronja am vergangenen Freitag weggelaufen ist, über eine Hauptverkehrsstraße, über ein weites Feld, den Berg hinauf. Es war heiß, mein Herz hat gerast und immer, wenn ich nach ihr gerufen habe, hat sie noch einmal mehr Gas gegeben und ist weitergelaufen. Irgendwann war ich am Ende mit meinem >Latein. Natürlich wusste ich, dass ich ihr eigentlich nicht hinterher laufen sondern mich in entgegengesetzter Richtung entfernen sollte, Aber ich hatte Angst, dass sie dann wieder über die Straße laufen würde und dieses Mal vielleicht nicht soviel himmlischen Schutz haben würde. Als ich dann, wie gesagt ziemlich fertig, mich hingesetzt habe und dachte, hier bleibe ich so lange sitzen, bis ich durchgebraten bin oder Ronja wiederkommt, dauerte es vielleicht noch einmal fünf oder zehn Minuten, bis sie um die Ecke eines Maisfeldes schaute. Einen Moment blieb sie stehen und dann raste sie glücklich auf mich zu. Ich knuddelte sie und freute mich, dass sie heile wieder da war. Dann nahm ich sie an die Leine, gingen zu unserem Auto und danach brauchten wie beide viel Zeit, um dieses Abenteuer wegzustecken. Ich war selbst am nächsten Tag noch ziemlich fertig. Alles Gute wünsche ich Ihnen und uns und grüße Sie ganz herzlich Inga

    1. Liebe Inga,
      es freut mich, das Ihre Ronja wieder von selbst zurück gekommen und alles gut ausgegangen ist.
      Wenn der Hund weg läuft ist das immer mit großer Aufregung und Angst verbunden, weil man nie weiß,
      ob er auch wohlbehalten wieder kommt.
      Herzliche Grüße

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